U.v.Beckerath
1.7.54.
Herrn Zube,
betr.: Aufsatz von Dr. Mueller-Guttenbrunn im
"Nebelhorn" von 15.9.1928. ("Das verfluchte Geld!")
Rousseau hat mit seiner Parole "Zurueck zur
Natur" viel Missverstaendnisse angerichtet. Eines dieser
Missverstaendnisse ist die durch ihn veranlasste Meinung, dass das Natuerliche
das Zurueckliegende sei und das Natuerlichste das am weitesten
Zurueckliegende. Die Neueren sind der Meinung, dass es heissen sollte:
"Vorwaerts zur Natur" (vielleicht von Gerling formuliert), und
dass ein sehr hoher, noch bei weitem nicht erreichter Kulturzustand der dem
Menschen natuerliche sei.
Anwendung
auf das Geldwesen.
Das Natuerliche
ist das Verrechnen, ergaenzt durch gelegentliche Zahlung mit Muenzen - -
aus Gold - - aus Silber - - aus sonst was. Dass Glaeubiger (inkl. Arbeiter)
einen Rechtsanspruch auf Edelmetallmuenzen haben, obwohl die oefters - - wie
bekannt - - aus der Zirkulation verschwinden, beruht auf Mangel an Nachdenken,
eigentlich sogar auf Stumpfsinn. Es ist zwar althergebracht, wie ueberhaupt die
weitgehende Zahlung mit Edelmetallmuenzen, aber das Natuerlichste ist es
nicht.
Wenn man
den Glaeubigern nur einen Anspruch auf Verrechnung einraeumt, so ist das
tragbar, wenn das Verrechnen technisch ebenso leicht geht, wie jetzt das Zahlen
mit Muenzen (oder Noten).
Das ist
erreichbar, wenn das Bankwesen voellig freigegeben wird, so dass die zum
Bankgewerbe Faehigen ueberall nachspueren duerfen, wo ihre Dienste gebraucht
werden. Ist das Bankwesen bis zur Grenze seiner Leistungsfaehigkeit entwickelt,
so kann eventuell sogar ein Arbeiter einen Verrechnungswechsel in Form eines
Eigenwechsels loswerden, ganz ebenso, wie i.J. 1913 Geschaeftsleute ohne viel
Schwierigkeit (es fehlte nicht an Banken) ihre Wechsel loswurden. Es gab
immer Banken, die Wechsel diskontierten. (Nur bei Krisen nicht - - das war dann
faul.)
Ladengemeinschaften,
die durch ihre Bankabteilung Verrechnungsscheine, gestueckelt und typisiert wie
Geld, ausgeben, sind das Primaere. Bankenkonsortien, die mit
Ladengemeinschaften Vertrage abschliessen, wonach die Laeden die
Verrechnungsscheine auch der Banken annehmen, waeren die zweite Stufe der
Entwicklung. Zuletzt ist jeder Einzelne von der Menge des umlaufenden Geldes
unabhaengig.
Sind Goldstuecke im Verkehr, so zahlt man damit,
sind sie nicht im Verkehr, so zahlt man mit Verrechnungsscheinen. Jeder, der
nuetzliche Arbeit anbietet, kann sich bei Banken oder bei aendern Stellen
Verrechnungsscheine besorgen, welche die Laeden annehmen.
Sowie das
erreicht ist, spricht niemand mehr vom "verwuenschten Geld". Die
Zeitgenossen und die frueheren Generationen haben noch nicht bemerkt, dass
alles, was bisher gegen das "verwuenschte Geld" vorgebracht wurde, in
Wirklichkeit vom Rechtsanspruch der Glaeubiger auf Geld galt. Wird der
Rechtsanspruch beseitigt, so dient das Geld nur noch, ist aber kein Herr mehr,
und der Geldbesitzer hat keinen gesellschaftlichen Vorzug vor dem Besitzer
einer Drehbank oder einer Mistgabel.
Mueller-Guttenbrunn
waere wohl der Mann gewesen, das neue System zu propagieren. Vielleicht waere
dann schon die Krise von 1930/32 unterblieben. Hitler waere ein kleiner
Redakteur geblieben, der zweite Weltkrieg haette nicht stattgefunden. Aber,
Mueller-Guttenbrunn hatte kein Interesse fuer volkswirtschaftliche Details;
er war Kritiker und dazu ein bisschen Moralist. Schade!
Bastiat schrieb vor etwas mehr als 100 Jahren eine
Abhandlung "L'argent maudit" - - "Das verwuenschte Geld".
Die hat M.-G. vielleicht gelesen.
Bth.
1.7.54.
Es war auch ein Fall auf den die alte Legende von
Reinecke Fuchs passt: Der Fuchs, dem die Trauben zu hoch sind, erklaert sie
fuer zu sauer! Es handelte sich weniger um verwuenschtes Geld als um gewuenschtes
Geld. Er verwuenschte nur seinen schlechten finanziellen Zustand, der es ihm
z.B. nicht erlaubte seine Zeitschrift drucken zu lassen, sondern ihn dazu
zwang, sie selbst und primitiv zu vervielfaeltigen und zu binden. Man kann aber
auch fragen: Sollten Leute, die solche Unterschiede nicht sich selbst und
anderen klar machen koennen wirklich Zeitschriften herausgeben?
J.Z. 13.12.83
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First published in: Ulrich von
Beckerath: Zur Freiheit, zum Frieden und zur Gerechtigkeit; Gesammelte Briefe,
Papiere, Notizen, Besprechungen. PEACE PLANS 428-467 (Mikrofiche), Berrima,
Australia, 1983. Page 2963.